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25 November 2024

Non-Target Screening für Wasserreinigungskonzepte von Optikern

Moderne Analytik unterstützt nachhaltige Brillenherstellung

Overview

Das untersuchte Filtersystem für Brillenglas-Schleifwässer trägt aufgrund von Filtration von Mikroplastik, der Nutzung von Aktivkohle zur Adsorption organischer Moleküle im genutzten Wasser und der Kreislaufnutzung des gereinigten Wassers wesentlich zur Abfallvermeidung und zum wassersparenden Arbeiten im Optikeralltag bei. Die systematische Wasseruntersuchung durch massenspektrometrisches Non-Target Screening lieferte tiefgehende Erkenntnis zur Entfernungsmöglichkeit von organischen Molekülen durch Aktivkohle, so zum Beispiel die benötigte Menge im System zur optimalen Entfernung von Molekülen. Die Verwendung von polaritätserweiterter Chromatographie zeigte auch direkt die Grenzen des Polaritätsbereichs von adsorbierbaren (und somit der entfernbaren) Substanzen.

Der beim Schleifen von Brillengläsern entstehende Kunststoffabrieb stellt eine relevante Mikroplastikquelle im Prozesswasser dar. Seit Mitte der 1990er-Jahre werden Brillen überwiegend mit Kunststoffbrillengläsern verkauft. Die für den Nassschleifprozess der Brillengläser genutzten konventionellen Umwälzanlagen können die entstehenden Partikel derzeit nicht oder nur unzureichend zurückhalten. Somit gelangt ein erheblicher Teil der Schleifrückstände beim Austausch des Prozesswassers in das kommunale Abwassersystem. Unter der Annahme, dass pro Betrieb und Monat 1 kg (Trockenmasse) der Schleifrückstände anfallen, ergibt das bei 11.000 Optikerbetrieben in Deutschland eine ernstzunehmende Menge im Bereich von 132 Tonnen pro Jahr.

 

Neuartiges Filtersystem entfernt zuverlässig Kunststoffpartikel aus dem Schleifwasser

Abb. 1: Schematischer Aufbau des Koskino--Filtersystems mit Rieselplatte (a,), 
Filtergewebe (b,) und Vorlagebehälter (c,) für die Bearbeitungsmaschine. © Koskino Smart Filtering

 

Einen Lösungsansatz für die Minderung des Mikroplastikeintrags in den Gewässerkreislauf bietet das sogenannte Koskino-Filtersystem (Abb. 1). Das System wird unterhalb der Bearbeitungsmaschine platziert. Eine Pumpe fördert gereinigtes Wasser aus einem Auffangbehälter in den Schleifraum, in welchem ein Brillenglas bearbeitet wird. Das Wasser wird dann zusammen mit den Schleifrückständen aus der Maschine in das Filtersystem geführt. Dort werden die Schleifrückstände in einem Textilfilter zurückgehalten. Das Wasser wird anschließend wieder in die Bearbeitungsmaschine gepumpt. Pro Bearbeitung werden so etwa 15 L Wasser benötigt. Ein textiler Filterbeutel (mit Porengrößen von maximal 10 µm) scheidet im Wasser befindliche Mikropartikel ab und wird regelmäßig entleert beziehungsweise ersetzt. Das Filtergewebe setzt sich während der Nutzung nicht zu. Somit kann der befüllte Sack nach der Trocknung entleert (und wiederverwendet), sowie der Schleifrückstand über den Restmüll entsorgt werden. Das gefilterte Wasser wird wie beschrieben wieder im Bearbeitungsprozess verwendet; lediglich verdunstetes Wasser wird mit Leitungswasser aufgefüllt. 

 

Massenspektrometrisches Non-Target Screening charakterisiert die Wässer systematisch

Abb. 2: RT-Massenplot einer Schleifwasserprobe (a,) und Hauptkomponenten-Analyse (PCA) der mit unterschiedlichen Mengen Aktivkohle 
versetzten Schleifwasserprobe (b,). © AFIN-TS

 

Da das Wasser im Filtersystem im Kreislauf gefahren wird, ist zu erwarten, dass sich im Schleifprozess freigesetzte Moleküle anreichern und das Wasser nachhaltig kontaminieren. So ist es von großem Interesse einen analytischen Einblick in die Zusammensetzung der Schleifwassers zu erhalten, um gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen zu können und die Reinheit des Schleifwassers zu erhalten. Die chemische Zusammensetzung der organischen Brillengläser ist aufgrund der Vielzahl eingesetzter Materialien nicht bekannt. Es ist zu vermuten, dass je nach Hersteller unterschiedliche Additive bei der Synthese zum Einsatz kommen. Deshalb wurde zur Charakterisierung des Schleifwassers systematisch massenspektrometrisches Non-Target-Screening (NTS) eingesetzt. Diese Analytik basiert in dieser Untersuchung auf polaritätserweiterter Flüssigphasenchromatographie gekoppelt mit hochauflösender Massenspektrometrie (HRMS) und erlaubt eine umfassende Trennung und Detektion von organischen Verbindungen in komplexen Proben, ohne deren Identität vor der Analyse zu kennen. Der Aufbau und die Funktion dieser seriellen Kopplung von Umkehrphasenchromatographie (RPLC) und hydrophiler Interaktionsflüssigphasenchromatographie (HILIC) ist in der Literatur beschrieben [1, 2]. Die Detektion der mittels RPLC-HILIC-Kopplung getrennten Verbindungen im NTS erfolgte anschließend mit einem Exploris 120 Orbi­trap Massenspektrometer.
Zur generellen Charakterisierung und Bewertung der Zusammensetzung des Schleifwassers wurde eine Schleifwasserprobe aus einem kontinuierlich betriebenen Filtersystem entnommen. Nach Analyse mittels RPLC-HILIC-HRMS und Bearbeitung der Rohdaten wurden fast 500 sogenannte Features (analytische Signale bestehend aus Retentionszeit, akkurater Masse und Signalintensität) erhalten (Abb. 2a). Die Verwendung der RPLC-HILIC-Kopplung zur Trennung ermöglicht es, die Polarität der detektierten Features einzuschätzen. Features mit einer Retentionszeit von weniger als 12 Minuten stammen aus der HILIC-Trennung (ca. 180 Features) und sind somit (sehr) polar/hydrophil. Wohingegen Features mit höheren Retentionszeiten aus der RPLC-Trennung (ca. 300 Features) stammen. Diese sind daher eher unpolar/hydrophob.

Abb. 3: Volcano-Plots der Proben versetzt mit 10 und 20 mg/L Aktivkohle (a,)
sowie 10 und 250 mg/L Aktivkohle (b,). © AFIN-TS

 

Da diese Verbindungen größtenteils über den Kontakt des Wassers mit den Schleifprodukten in das Wasser gelangen, kann angenommen werden, dass es beim kontinuierlichen Betrieb des Filtersystems zu einer Anreicherung der Verbindungen im Schleifwasser kommt. Die Auswirkungen dieser Verbindungen auf die Qualität des Schleifprozesses sind zwar nicht bekannt, allerdings sollte auch dieser Punkt berücksichtigt werden. Deshalb wurde in einer anschließenden Laborstudie untersucht, ob die Zugabe von Aktivkohle zum Schleifwasser eine Entfernung dieser Verbindungen zur Folge hat. Hierfür wurde Schleifwasser mit insgesamt fünf verschiedenen Konzentrationen von Aktivkohle versetzt. Nach einer Inkubation von jeweils über 4 h unter kontinuierlichem Rühren bei Raumtemperatur, wurden diese Proben ebenfalls mittels RPLC-HILIC-HRMS analysiert. Das nun größere Datenset (auf Basis von Features wie in Abb. 2a) erlaubte eine tiefgehende statistische Auswertung. Eine Hauptkomponenten-Analyse (PCA; Abb. 2b) liefert dabei einen Überblick über Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Probenset (der Features). Da die drei gemessenen Replikate der jeweiligen Proben nahe beieinander lagen, konnte auf eine ausreichend gute Reproduzierbarkeit der Analysen geschlossen werden. Die Proben mit 10 und 20 mg/L Aktivkohle lagen ebenso nahe beieinander, was auf nur geringe Unterschiede zwischen den Proben schließen lässt. Die Proben mit 50, 100 und 250 mg/L Aktivkohle dagegen befanden sich auf der gegenüberliegenden Seite des Plots und sind auch weiter voneinander entfernt. Dies lässt auf größere Unterschiede in der Probenzusammensetzung schließen. Im nächsten Schritt wurden die Signalintensitätsunterschiede von Features in verschiedenen Proben beurteilt. Dazu wurden Volcano-Plots erstellt (Abb. 3). Je weiter sich dort ein Feature in der linken oder rechten oberen Ecke befindet, desto charakteristischer ist es für die entsprechende Probe. Im vorliegenden Datensatz bedeutet dies, je weiter ein Feature auf der Seite einer Probe ist, desto eher kann von einer Entfernung dieser Verbindung durch die Aktivkohle in der gegenüberstehenden Probe ausgegangen werden. Während die Zugabe von 20 mg/L Aktivkohle im Vergleich zu 10 mg/L nur bei sechs Features zu einer geringeren signifikanten Signalintensität führt (Abb. 3a), so führt die Zugabe von 250 mg/ zu einer signifikanten Signalverringerung bei 374 Features (Abb. 3b). Dennoch gibt es noch Features, die keine Signalintensitätsveränderung zeigen (Abb. 3b, Mitte). Wie im RT-Massenplot sichtbar wird (Abb. 4) besitzen diese Verbindungen größtenteils Retentionszeiten von unter 12 Minuten. Da es sich bei diesen Verbindungen um vorwiegend polare und sehr polare Verbindungen handelt, zeigen diese offensichtlich ein deutlich eingeschränktes Adsorptionsverhalten an Aktivkohle und bestätigen damit frühere Studien [3].

Abb. 4: RT-Massenplot einer mit Aktivkohle behandelten Schleifwasserprobe. Die blau markierten Features zeigten auch nach Zugabe von 250 mg/L keine Intensitätsabnahme. © AFIN-TS

 

Zusammenfassung

Das neuartige Filtersystem ermöglicht effektiven Rückhalt von Mikroplastikpartikeln. Mit Hilfe von Non-Target Screening konnte gezeigt werden, dass auch organische Spurenstoffe im Prozess auftreten. In der durchgeführten Laborstudie wurden unterschiedliche Konzentrationen von Aktivkohle getestet. Dies konnte aufzeigen, dass Aktivkohle zu einer Verringerung des Gehalts von organischen Verbindungen im Schleifwasser eingesetzt werden kann und eine Dosisabschätzung erlauben. Die Versuche belegen generell die Einsetzbarkeit von Aktivkohle zur Reduzierung der organischen Verbindungen im Schleifwasser und die Zugabe von 250 mg/L zeigte die besten Ergebnisse (für unpolare Moleküle). Als Ergebnis dieser Studie wird nun den Nutzer*innen des Koskino-Filtersystems empfohlen, eine festgelegte Menge Aktivkohle zuzugeben.

 

Kontakt
Dr. Stefan Bieber
Analytisches Forschungsinstitut für Non-Target Screening GmbH (AFIN-TS)
Augsburg, Deutschland
ORCID: 0000-0001-7357-2980
[email protected]

 

Literatur

[1] Bieber, S. et al. (2017). RPLC-HILIC and SFC with Mass Spectrometry: Polarity-Extended Organic Molecule Screening in Environmental (Water) Samples. Analytical Chemistry. DOI: 10.1021/acs.analchem.7b00859.

[2] Bieber, S. and Letzel, T. (2022). https://afin-ts.de/wp-content/uploads/2023/03/AFIN-TS-Forum-2022-Nov8.pdf.

[3] Minkus, S., Bieber, S., Letzel, T. (2022). Characterizing powdered activated carbon treatment of surface water samples using polarity-extended non-target screening analysis. Molecules (Analytical Section). DOI: 10.3390/molecules27165214.

About the authors

  • Stefan Bieber profile image
    Stefan Bieber
    Analytisches Forschungsinstitut für Non-Target Screening GmbH (AFIN-TS ), Augsburg, Germany
    Augsburg, Germany

    Dr. Stefan Bieber studied pharmaceutical bioprocess engineering at the Technical University of Munich (TUM) and subsequently obtained a doctorate in analytical chemistry in the field of environmental analysis. Today, he is one of the two CEOs of AFIN-TS. Over the past 10 years, he has focused extensively on the comprehensive analysis of complex samples using non-target screening, the development of data evaluation strategies, and the establishment of polarity-extended separation techniques.

    German version:

    Dr. Stefan Bieber studierte Pharmazeutische Bioverfahrenstechnik an der Technischen Universität München (TUM) und promovierte anschließend in Analytischer Chemie auf dem Gebiet der Umweltanalytik. Heute ist er einer der beiden CEOs von AFIN-TS. In den letzten 10 Jahren hat er sich intensiv mit der umfassenden Analyse komplexer Proben mittels Non-Target-Screening, der Entwicklung von Datenauswertungsstrategien und der Etablierung von polaritätserweiterten Trenntechniken beschäftigt.

     

  • Matthias Scherler profile image
    Matthias Scherler
    KOSKINO Smart Filtering Matthias Scherler, Nördlingen, Germany

    Matthias Scherler (Bachelor Professional in Optometry (FSAO Jena, Germany)) has worked in ophthalmic optics, sales, and spectacle frame manufacturing. Since 2020, he has focused on purifying process water in optical laboratories and specialist opticians' shops.

  • Thomas Letzel profile image
    Thomas Letzel
    Analytisches Forschungsinstitut für Non-Target Screening (AFIN-TS ), Augsburg, Germany
    Augsburg, Deutschland

    Dr. Thomas Letzel studied chemistry in Munich, Germany, where he obtained his doctorate in the field of environmental analysis. Today, he is one of the two managing directors of AFIN-TS and a lecturer at the Technical University of Munich (TUM), Germany. Over the past 25 years, he has worked extensively on mass spectrometric analysis across a wide range of research areas, including projects in materials, environmental, and food analysis, as well as pharmaceutical analysis and bioanalysis.

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